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Entwicklungstrauma
von Silja de Maddalena I 30.03.2022

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Hast du gewusst, dass geschätzt 80% unserer Bevölkerung von einem Entwicklungstrauma betroffen ist? Es ist nicht dasselbe wie ein Schocktrauma, aber auf unser Nervensystem hat es sehr ähnliche Auswirkungen.

 

Herzklopfen, kalter Schweiss, ein leerer Kopf, Taubheitsgefühle etc. – und das in Situationen die doch eigentlich gar nicht sooo schlimm sind... Realistisch betrachtet steht da weder ein Säbelzahntiger noch ein Irrer mit einer Waffe vor uns, die Situation ist eigentlich nicht lebensbedrohend. Körperlich und Emotional passiert aber etwas sehr ähnliches, als wäre genau dies der Fall. Unser Nervensystem hat eine Art „Flashback“, steht unter enormem Stress, das Überleben scheint nicht gesichert. Das hat diverse Auswirkungen auf uns, sowohl körperlich, als auch emotional und auf Verstandesebene.

 

Oft sind wir uns gar nicht bewusst, dass wir unter einem Entwicklungstrauma leiden, sondern wir fragen uns, was mit uns nicht stimmt. Weshalb wir in manchen Situationen so komisch reagieren bzw. „nicht reagieren können“. Es fühlt sich an, als würden wir immer wieder in die selbe Einbahnstrasse geraten, und das wirkt sehr blockierend und verunsichernd, wir fühlen uns völlig ausgeliefert. Oft können Mitmenschen nicht verstehen, weshalb für uns gewisse Situationen so schlimm sind.

 

Sind wir davon betroffen, ist es äusserst hilfreich, zu verstehen, was da genau mit uns passiert und dass wir damit umgehen lernen können. Der Schlüssel in solchen Situationen heisst: Selbstregulation.

 

Als Baby und Kleinkind können wir uns noch nicht selbst regulieren. Im wünschenswerten Fall, machen das unsere Eltern für uns. Sie beschützen uns, aktivieren uns, und beruhigen uns dann wieder. Und wir lernen, dass Erregungszustände toll oder zumindest meist ungefährlich sind und danach auch wieder ruhige Phasen kommen. Mit ihrer liebevollen und präsenten Begleitung pendelt unser Nervensystem zwischen Ruhe und Erregung hin und her, und wir können mit all den verschiedenen Zwischenstufen umgehen, kommen dadurch nicht in wirklichen Stress, fühlen uns dabei geliebt und in Sicherheit. Und mit der Zeit lernen wir diesen Schutz und die Regulation, auch ohne die Begleitung der Eltern, für uns selbst zu übernehmen.

 

Oft ist der Fall aber nicht so wünschenswert. Vielleicht haben die Eltern selbst ein schlecht reguliertes Nervensystem, Stress oder keine Zeit für uns. Oder sie haben gelernt, dass man ein Baby zwischendurch schreien lassen soll oder es alleine in einem Zimmer schlafen soll. Das Baby, das noch völlig abhängig von seinen Bezugspersonen ist, und das sein Nervensystem noch nicht selbst regulieren kann, bleibt dabei für längere Zeit in dieser, für ihns lebensbedrohlichen Stresssituation hängen. Es versteht nicht, dass die Eltern im Zimmer nebenan sind. Es ist alleine und weiss instinktiv, dass es alleine nicht überleben kann. Auch als Kleinkind sind wir auf die Liebe und Fürsorge unserer Bezugspersonen angewiesen. Aus Angst diese zu verlieren, passen wir uns den gestellten Erwartungen an. Schimpft die Mutter mit uns, kommt ein Schamgefühl. Lässt uns die Mutter länger in diesem Schamgefühl und der damit verbundenen Angst hängen, indem sie sich uns nicht schnell wieder liebevoll zuwendet, kommt unser Nervensystem in extremen Stress. Angst nicht richtig zu sein, die Liebe unserer Bezugspersonen und damit unsere „Existenzversicherung“ zu verlieren. Die Situation wird lebensbedrohlich. Genau so lebensbedrohlich wie ein Tsunami oder ein Säbelzahntiger. Je länger solche Situationen anhalten, je grösser ist die Gefahr, dass wir später unter einer Selbstregulationsstörung leiden.

 

Finden wir uns später in ähnlichen Situationen, z.B. eine „Mutterfigur“ ist mit uns oder unsere Handlung nicht zufrieden, kann es sein, dass wir eine Art „Flashback“ erleben. Wir reagieren körperlich, unser Verstand ist eingeschränkt (leerer Kopf), wir fühlen uns bedroht und alles andere als in Sicherheit. Unser System steht wieder unter extremen Stress und wir können diesen nicht in der Situation regulieren. Wir verhalten uns dann wie früher, versuchen uns mit allen Mitteln anzupassen, unser Gegenüber zu „besänftigen“, so dass wir wieder geliebt und versorgt werden, wir so wieder in Sicherheit sind und für unser Überleben gesorgt ist.

 

Wenn du körperliche Symptome bemerkst, kannst du folgendes tun: nimm ein paar tiefe Atemzüge, fühle dabei möglichst bewusst deinen Körper. Mach dir klar, wo du dich gerade befindest. Schau um dich, drehe dabei den Kopf und Oberkörper mit und nimm deine Umgebung ganz bewusst wahr. Kein Tsunami, kein Säbelzahntiger. Schau deinen Körper an, erinnere dich an dein Alter. Du bist Erwachsen und kein Kind mehr. Du bist in Sicherheit, dir droht keine akute Gefahr und dein Überleben ist nicht von deinem Gegenüber abhängig. Dein Gegenüber ist vielleicht gerade nicht Zufrieden mit dir oder deinem Verhalten, das stellt aber nicht deine Existenz in Frage. Du bist in Sicherheit. Versuche Zeit zu gewinnen, um von der Vergangenheit in die Gegenwart zu kommen, vom Autopilot in die Bewusstheit. Es ist ein Muster, das bei dir gerade abläuft, du bist mehr als dieses Muster und du hast die Macht, das Muster zu verändern.

 

Du kannst dich auch fragen, wie sich dein Wunsch-Ich jetzt gerade verhalten würde und versuchen das umzusetzen. Nimm dir Zeit, trau dich – du bist in Sicherheit.

 

Unsere Verhaltensmuster sind über Jahre eingeprägte „Autobahnen“. Wir können diese nicht von heute auf morgen verändern. Aber mit jedem Mal, wo wir es schaffen aus dem gewohnten Muster auszusteigen und auf eine andere Art zu reagieren, wird es uns einfacher fallen. Dabei lernen wir auch, dass wir selbst Einfluss auf unser Erleben haben. Dass wir selbstwirksam sein können und nicht ohnmächtig ausgeliefert sind.

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